FÜRTHER LANDKREIS NACHRICHTEN - 24.10.2003 - [B0310241]

Elvis und die "Bärbel"

Bürgermeister Gert Kohl tut Pläne als Fantasterei ab - Die IG Bibertbahn wehrt sich gegen ein "Pamphlet"

"Totgeglaubte haben bekanntlich ein zähes Leben, auch Elvis Presley wird von seinen Jüngern immer noch in geheimen Verstecken vermutet. So ähnlich ist es auch mit der Biberttalbahn, von der einige Schwärmer die Lösung aller Verkehrsprobleme im südlichen Landkreis erhoffen, ohne dass sie sich der Realität bewusst sind."

FÜRTH Land - Dieses Zitat ist einem Statement entnommen, das Zirndorfs Bürgermeister Gert Kohl im SPD-Organ seines Ortsverbandes veröffentlicht hat. Als realitätsferne Schwärmer tut Kohl all die ab, die sich für die Wiederbelebung der Bibertbahn-Trasse in den Westen des Landkreises stark machen. Kohls Fazit: Die "einzig vernünftige Lösung" im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) ist die Fortführung der U-Bahnlinie 3 nach Zirndorf und Oberasbach.

Auf die Füße getreten ist er damit 21 Menschen, die sich in der Interessengemeinschaft Bibertbahn (IG) gefunden haben: politisch engagierte Leute, Bahnfreunde oder einer wie Benjamin Hartung, den der "gesunde Menschenverstand" dazu treibt, sich für umweltverträgliche verkehrspolitische Lösungen stark zu machen. Der Nürnberger studiert in Dresden Verkehrsingenieurwesen und verfolgt die Entwicklung des ÖPNV im Großraum seit Beginn der 90er Jahre. Indes: Hartung würde wohl eher von Stagnation reden. Was die Angriffe Kohls betrifft, spricht er wie Sven Becker - auf sachlicher Ebene - von Missverständnissen, die es zu klären gebe. Weniger sachlich ihr emotionales Urteil: "Unfair" sei das, "ein Pamphlet".

Als naive Fantasten mögen sich die Lobbyisten einer wieder rollenden Bibert-Bärbel nicht abkanzeln lassen: Nie habe die IG in Abrede gestellt, dass Schienen, Schwellen und Schotter ausgetauscht werden müssten, wendet sich der Verkehrsexperte etwa gegen das Argument Kohls, der Gleiskörper wäre vollständig zu erneuern. Sechs Millionen Euro würde die Instandsetzung der Trasse zwischen Nürnberg-Hauptbahnhof und Leichendorf kosten, kalkuliert die IG. Ein Bruchteil dessen, was für eine U-Bahn-Lösung zu berappen wäre.

Der Löwenanteil dieser sechs Millionen entfiele auf die nötige Erneuerung zweier Brücken (über die Rothenburger Straße und die Rednitz). Die müssten aber auch hergerichtet werden, wenn eines Tages eine U3 Richtung Zirndorf und Oberasbach rollt. So gesehen, meint Hartung, wäre das nur eine vorgezogene Maßnahme, die einem späteren Vollausbau für die Zwecke einer U-Bahn genauso zugute kämen.

Finanzierbar hält die IG auch bei der U-Bahn-Lösung ohnehin nur eine oberirdisch geführte Trasse. Im Gegensatz zum nach offizieller Lesart frühestens in zwölf bis 15 Jahren angestrebten Baubeginn einer Verlängerung der U3 zur Jet-Tankstelle in Oberasbach wäre die Bibertbahn-Strecke innerhalb von ein bis zwei Jahren so in Stand zu setzen, dass die Vorteile einer späteren U-Bahn schon in naher Zukunft durch Zirndorf und Oberasbach rollen könnten. Dass die U-Bahn den geplanten U-Bahnhof Gebersdorf (Fürth-Süd) jemals erreichen wird, zieht die IG stark in Zweifel: Ein offenes Geheimnis sei es, dass über dem Abschnitt zwischen Gustav-Adolf-Straße und Fürth-Süd ein großes Fragezeichen stehe. "Den Nürnbergern selbst ist es doch ein Rätsel, wer diesen Streckenbau zahlen soll", sagt Sven Becker. Und selbst wenn die U3 eines Tages in Fürth-Süd ankommen sollte, so prognostiziert Hartung, wird sich "das Drama von Stein/Röthenbach wiederholen: Eine U-Bahn bis zur Stadtgrenze und ab dort keine ausreichend finanzstarken oder ausgabewilligen angrenzenden Kommunen, die sich Bau, Betrieb und Unterhalt einer Verlängerung leisten können oder wollen."

"Niemand bezahlt für eine Infrastruktur, deren Kosten-Nutzen-Verhältnis mehr als fragwürdig ist. Alles andere ist naives Denken", behauptet Kohl: Dem hält die IG die Kosten für den U-Bahn-Korridor entgegen: Klassisch, also unterirdisch geführt, würde er zwischen 57 und 70 Millionen Euro verschlingen. "Selbst wenn die Inbetriebnahme der Bibertbahn zwölf Millionen kosten würde, wie uns unsere Kritiker vorrechnen, wäre das noch viel günstiger zu haben als die U-Bahn." Nur, moniert die IG, hat es für die Reaktivierung der Bibert-Bärbel noch nie eine Kosten-Nutzen-Analyse gegeben . . .

Verkehrsrechtliche Fragen, die Kohl in seinem Statement aufwirft, wertet die IG als geringes Problem: Höhengleiche Bahnübergänge auf Straßen seien tatsächlich nicht mehr zeitgemäß für Bahnstrecken-Neubauten, räumt Hartung ein: Doch warum die Bärbel nicht als Sanierung betrachten und als Straßenbahn betreiben? Vom Verkehrsaufkommen her ist es seiner Meinung nach unnötig, Straßen zu überbrücken oder zu untertunneln. Als Regionalbahn sei die Bibert-Bärbel weit davon entfernt, den Standard einer Eisenbahn-Neubau-Strecke erfüllen zu müssen.

"Kurzfristige Verbesserungen und langfristige Strategien haben sich noch nie ausgeschlossen, der Glaube an nur eines von beiden dagegen", so Hartung, "hat schon viel Sinnvolles verhindert." Schon Anfang der 90er Jahre habe es geheißen, 2003 sei die U-Bahn in Gebersdorf: "Was ist passiert?" fragt Hartung rhetorisch. Er macht einen Verschleppungsfaktor aus, der hochgerechnet auf die U-Bahn-Pläne in den Landkreis deren Realisierung auf den St.-NimmerleinsTag verschiebt. Hartung setzt das einem "Verschieben von verkehrspolitischer Verantwortung" gleich.

Die Reaktivierung der Bibertbahn ist für die IG "keine Frage des Könnens, sondern des Wollens: "Hier köönnten die politisch Verantwortlichen ihren Absichtserklärungen, den ÖPNV zu fördern, Taten folgen lassen", finden sie. Verloren wäre mit einer flotten Instandsetzung der Bibert-Trasse nichts, aber viel gewonnen. Was sich letzten Endes als vernünftige Variante herausstellen wird, sollte nach Ansicht Hartungs das Ergebnis eines "ehrlichen und offenen Diskurses" sein. "Oder aber", ergänzt er, "diese Frage wird ewig die Domäne von Ansicht, Meinung und Elvis Presley bleiben."

Kommentierender Leserbrief siehe: B0310301

SABINE DIETZ - 24.10.2003 0:00 MEZ

© FÜRTHER LANDKREIS NACHRICHTEN

http://fln.fuerther-nachrichten.de/artikel.asp?art=125051&kat=239




_